… und dann fahre ich also doch nicht durch das Zelt, sondern direkt den Weg durch, ok … und der zweite Wechsel? Über die Wiese oder durch das Zelt? Dann nach da hinten. Aber wie komme ich dann wieder den Hang hoch? Geht auch da drüben? Gerade ändert sich zum mindestens dritten Mal der Plan für meine Wechsel und ich bin auch fast nicht nervös (haha). Heute soll er stattfinden, mein allererster Triathlon, und schon deutlich vor dem offiziellen Beginn bin ich am Startbereich und geister hier rum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Der Main. Ist hier Start oder Ziel? Ah, nur Ziel. Und der Start? Da hinten. Wechsel direkt neben dem Wasser. Das ist Bernd, er hilft dir dabei. Das Auto stelle ich dann neben die DLRG. Oder dahinter. Oder an den Weg. Ach, Startunterlagen abholen sollte ich ja auch. Zwischendurch: Menschen, die konzentriert Bananen essen. Ach, und dann nochmal wegen dem zweiten Wechsel, wir könnten den Platz doch auch da vorne einrichten und dann machen wir einfach ein Stück vom Zaun auf …

Das Schwimmen findet im Main statt, der an dieser Stelle eher ein ruhiger, schmaler Bachlauf ist. Während mein Übungs-Badesee zuletzt angenehme 22 Grad hatte, wird uns die heutige Wassertemperatur mit sehr optimistischen „knapp 18 Grad“ angegeben (man rundet doch auf bei 17,2, oder?). Zum Start werde ich direkt nach der Wettkampfbesprechung mit einem Auto gefahren. Die Nervosität färbt immer noch meine Wahrnehmung. Schuhe ausziehen, Neo-Bein anziehen, Schuhe wieder anziehen, damit ich mich gut hinstellen kann, am Auto festhalten, ach nein, das Auto muss umparken, halt, da liegen noch meine Sachen drin, also Sachen ausladen, hinsetzen, weiter anziehen … irgendwie schaffe ich es dann doch, in dieser mentalen und tatsächlichen Zappeligkeit mich korrekt zu bekleiden und gehe die letzten Schritte mit Hilfe bis zum Ufer. Die Stelle ist schon super schlammig. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich dort in diesen tiefen Schmodder reinzusetzen, um mich vorsichtig ins Wasser zu schieben. Wird ja gleich wieder abgewaschen. 17,2 Grad sind übrigens echt kalt. Meine Füße beschweren sich ab der ersten Sekunde. Und jetzt muss da wirklich noch Wasser in den Neo? Begleitet von einem lauten „Ahhh“ lasse ich eine Welle reinschwappen. Zum Glück wird es tatsächlich sehr schnell warm. Uns wurde ein Stückchen einschwimmen zwangsverordnet, da wir vom Einstieg noch ein paar Meter zur Startlinie müssen. Ich schaue also leicht angewidert auf die trübe und bekanntermaßen eiskalte Wasseroberfläche und muss mich wirklich überwinden, da den Kopf einzutauchen. Glücklicherweise habe ich mich für die Weichei-Neoprenmütze unter der offiziellen Badekappe entschieden, und ich feiere diese Entscheidung jeden einzelnen Meter im Wasser.

Ich erreiche die Startlinie und reihe mich ganz hinten ein. Auf Wasserschlacht habe ich wirklich keine Lust. Helmut, der die Veranstaltung organisiert und im Vorfeld viel Kontakt mit mir hatte, erscheint am Ufer, gibt uns noch gute Wünsche mit und zählt die letzten Sekunden an. Startpfiff. Endlich kann sich die geballte Anspannung in Bewegung entladen. Ich versuche, trotz Allem betont ruhig zu schwimmen. Nur wenige Male war ich im Freiwasser und bin froh, wenn ich unter den ungewohnten Bedingungen einigermaßen gleichmäßig und orientiert vorankomme. Das Orientieren geht hier erstaunlich einfach. Da der Fluß so schmal ist, habe ich bei jedem Atmen einen guten Blick zum Ufer und der Blick nach vorne zeigt mir die leuchtend orangen Badekappen der Schwimmerinnen und Schwimmer vor mir. Irgendwann bleibe ich hinter einem anderen Schwimmer hängen, der ein angenehmes Tempo schwimmt. Überholen ist mir gerade zu stressig in dem schmalen Gewässer. Und ist das da vorne wirklich schon die gelbe Boje beim Ziel? Sie ist es. Das ging ja wirklich schnell (und soo kalt ist es jetzt gar nicht mehr).

Am Ausstieg werde ich wie geplant von Bernd in Empfang genommen, der mir bei den fünf Metern bis zum Rad hilft. Mein Helfer-Team besteht dann gefühlt aus einer ganzen Traube Menschen. Ich komme zügig aus dem Neo raus, mache mir aber wie geplant die Mühe, die Füße abzutrocknen, um dann Socken und Schuhe anzuziehen. Wie ist die Zeit eigentlich? Elf nach eins, sagt jemand. Wow, falls der Start pünklich war, wäre das ja der Hammer! Helm und Brille an, noch ein Gel (verflixt, ich merke, dass ich vorher zu wenig gegessen oder getrunken habe) und eins als Reserve unter den Klettstreifen stecken. Dann rolle ich los, immer noch vollgepumpt mit Adrenalin (Ich bin im Main geschwommen! Ich bin im Rennen!). Es geht zunächst vorsichtig an der „richtigen“ Wechselzone vorbei, dann öffnet sich die Absperrung für mich und ich bin auf der Radstrecke.

Ich weiß, dass mich gleich der steilste Anstieg der Strecke erwartet. Verdammt, ich bin immer noch völlig zittrig vor lauter Aufregung. Ich versuche, irgendwie runterzukommen, Kraft zu sparen, die ich gleich brauchen werde. Es geht schon etwas bergauf. Dieser Teil ist tatsächlich nicht so schlimm, wie ich es gestern eingeschätzt hatte, was mich optimistisch stimmt. Dann kommt der Kreisverkehr, und dahinter ist er: der Kirchberg, ein kurzes Stück aber beeindruckendes Stück mit etwa 30 Höhenmeter, die man sich einfach nicht schön reden kann. Ich bin im ersten Gang und versuche, so gleichmäßig wie möglich zu kurbeln. Nicht überzocken, einfach nur da rauf kommen. Das Ende ist gut zu sehen und ich ahne, dass das schaffbar ist. Die Arme brennen auf den letzten Metern, ich atme tief und schnell, aber ich merke schon, wie es flacher wird. Yeah, die kritischste Stelle ist geschafft! Es folgt ein welliger Kurs über die gesperrte Landstraße. Bergab versuche ich aufzuholen, außerdem kämpfe ich gegen Bauchweh, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es eher Seitenstechen ist oder der Unmut meiner gelähmten Verdauung über die absurde Idee, mir bei dieser Belastung auch noch Nahrung zuzuführen. Trinken macht es eher schlimmer, aber ich muss trinken, wenn ich da heute durchkommen will. Es geht durch eine weitere Ortschaft. Immer wieder stehen und sitzen Leute am Straßenrand und feuern mich an. Schade, dass ich nicht zurückwinken kann, ohne die Kurbel loszulassen. Nach dem Ortsausgang geht es auf ein Stück Straße, das Helmut mit den Worten „hier kannst du es dann richtig schön rollen lassen“ angepriesen hat. Der Straßenbelag ist wirklich gut, es geht zur Abwechslung mal einigermaßen flach voran. Ich werde von einem Motorrad überholt und bevor ich zu Ende gerätselt habe, ob das dazugehört oder sich auf die Straße verirrt hat, rauscht auch schon der Führende an mir vorbei. Wow, Respekt, das bedeutet ja, der ist schon auf der zweiten Runde. Gleichzeitig ist das auch an mich die Erinnerung, das Rechtsfahrgebot wirklich ernst zu nehmen. Ein signalrotes Schild kündigt eine 180-Grad-Wende an. Obwohl das Handbike gefühlt den Wendekreis eines LKW hat, schaffe ich die scharfe Kurve in einem Rutsch. Jetzt geht es also die gleiche Straße zurück, die ich gerade in die andere Richtung gefahren bin. Während es für mich bisher ein eher einsames Rennen war, sehe ich immer mehr Leute, die mir entgegenkommen. Die erste längere Abfahrt kündigt sich an. Mein Tacho klettert auf knappe 50 km/h. Eine beeindruckende Geschwindigkeit. Die Fahrerin vor mir biegt links ab. Geht es da schon rein? Tatsächlich, jetzt sehe ich auch die Helfer und die Schilder. Es geht steil bergab in den Ort. Natürlich lässt auch der nächste steile Anstieg nicht lange auf sich warten. Eine Familie hat große Lautsprecher nach draußen gestellt und beschallt die Strecke mit Partymusik. Die zweite lange Abfahrt beschert mir eine neue Höchstgeschwindigkeit: 63 km/h kann ich einmal ablesen. Später wird mir das Garmin verraten, dass es sogar 65 waren. Im Rückspiegel sehe ich das Motorrad des technischen Offiziellen, das mir eine längeres Stück folgt. Dann bin ich auch schon wieder in Altenkunstadt, wo man am Kreisverkehr entweder nach rechts in die Wechselzone (optimistisch mit „Ziel“ beschriftet) oder nach links in die Radrunde zwei (oder drei bis vier für die Kurzdistanzler) abbiegen kann. Ich fahre also mit viel Schwung nach links. Wer gut aufgepasst hat weiß, was mich jetzt erwartet: dieser etwas garstige Hügel, der die heute Strecke so anspruchsvoll macht. Mit dem Wissen, dass ich da sicher hochkomme, erklimme ich ihn also ein zweites Mal. Es tut ein zweites Mal weh und als ich dann oben bin, bin ich froh, dass ich das heute nicht nochmal machen muss. Der Rest der Strecke rollt flüssig. Es hilft, dass ich schon alle Kurven, Anstiege und sonstige knifflige Stellen kenne. Das Bauchweh ist etwas besser geworden und es gelingt mir problemlos, während der Fahrt das zweite Gel zu verspeisen.

Dann bin ich auch schon wieder in Altenkunstadt, wo man am Kreisverkehr … oh stopp, das hatten wir ja schon. Ich biege also rechts ab in die Wechselzone und parke neben dem Rennrollstuhl. Der Wechsel (den ich nie so geübt habe) erscheint mir recht einfach: aus dem Handbike raus bin ich recht schnell (wenigstens das habe ich geübt). Etwas trinken, etwas Wasser zum Kühlen, dann stütze ich mich zwischen den beiden Fahrzeugen hoch und erklimme das letzte Sportgerät für heute. Ich schließe den Klettstreifen an den Knien und kämpfe damit, die verschwitzen Hände in die Handschuhe zu bekommen. Es wurde ja schon viel darüber geschrieben, wie schwammig sich das Loslaufen nach dem Radfahren anfühlt, aber oha, dass sich der Rennrolli heute derart komisch fährt, hätte ich nicht erwartet. Vielleicht ist es der holprige Untergrund in der Wechselzone, über den ich erst rüber muss? Ein Teil des Zauns wird für mich geöffnet, damit ich über eine flache Stelle der Wiese fahren kann. Weiter geht es über das erste Stück Straße, und plötzlich sehe ich, warum ich mich so wackelig auf den Rädern fühle: ich habe doch glatt den zweiten Klettstreifen vergessen, der meine Füße am Platz halten soll. So ein Mist! Es gibt keine gute Lösung, ich muss wirklich nochmal anhalten, die Handschuhe ausziehen, das Klett festmachen, die Handschuhe wieder anziehen. Ist das dieses „Erfahrung sammeln“, zu dem mir geraten wurde? Dann geht es endlich „richtig“ los. Ich habe sogar eine Fahrrad-Begleitung bekommen, die mir helfen soll, falls ich an einem Bordstein hängen bleibe. Außerdem macht es die folgenden sieben Kilometer deutlich kurzweiliger. Zäh ist es trotzdem. Irgendwie komme ich nicht so richtig vom Fleck. Der Rollstuhl zieht überraschend stark nach rechts, obwohl ich den Anschlag doch millimetergenau und bombenfest eingestellt hatte. Ich muss viel korrigieren, die Wege sind schmal und nicht gesperrt, manchmal geht es spürbar bergauf. So richtig ins rollen komme ich gefühlt nicht. Das ärgert mich etwas, weil ich eigentlich noch Körner übrig hätte. Oder täusche ich mich? Egal, ankommen werde ich sicher und Konkurrenz habe ich eh nicht. Und das Ziel ist schon fast da. Das angedrohte Stück Kopfsteinpflaster muss dann doch nicht befahren werden, Zieleinlauf in Weismain, jubelnde Menschen, das Piepen der Zeitmessung, ich bin da!

Hinter dem Ziel erwartet mich ein ziemliches Paradies mit lokalem Bier, Kuchenbüffet (!), Liegestuhl und Massage. Ich esse und trinke, was ich schaffe, suche und finde die Duschen in einer nahegelegenen Schule und genieße die besondere Atmosphäre. Ich kann nur staunen, was für eine Wahnsinns-Veranstaltung hier von einem riesigen Heer von HelferInnen auf die Beine gestellt wurde. Auch an dieser Stelle noch einmal ein ganz großes Dankeschön von mir für euren Einsatz! Bei der Siegerehrung bekomme ich einen großen Pokal und eine wirklich schöne Goldmedaille, obwohl ich natürlich nicht bayerische Meisterin werden konnte wegen dem nicht dazu passenden Wohnort.

Etwas später kann ich auch mit der mauen Rennrollstuhl-Zeit Frieden schließen: sehr wahrscheinlich steckt die Zeit für den zweiten Wechsel da mit drin, diese wurde nicht extra erfasst. Außerdem waren wohl spürbare 40 Höhenmeter in der „überwiegend flachen“ Strecke versteckt. Also bin ich unterm Strich vermutlich das gefahren, was ich momentan eben leisten kann. Leider ist der Tag irgendwann zu Ende, ich fahre mit dem Shuttle mitsamt Alltags- und Rennrolli zurück zum Start, belade das Auto und dann habe ich noch das Glück, dass mein Navi für die Rückfahrt eine Strecke durch eine märchenhafte Felsenlandschaft wählt.

Kategorien: Triathlon

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